Im Januar dieses Jahres wurde Basim Mihemed, ein junger Mitarbeiter des Kurdischen Roten Halbmondes, während der Arbeit von IS-Anhängern ermordet. Das Team des Kurdischen Halbmondes leistet unter anhaltenden Risiken ihren medizinischen Dienst für die Menschen Rojavas und versucht, zusammen mit der Selbstverwaltung ein funktionierendes Gesundheitssystem aufzubauen.

Maja Hess

«Wir arbeiten unter ständigen Kriegsdrohungen der Türkei. Täglich werden bei Angriffen an der Grenze zu den von der Türkei besetzten kurdischen Gebieten Menschen verletzt. Unser Team und die gesamte Bevölkerung sind diesem Bedrohungsstress ausgesetzt», sagt Fee Bauman, internationalistische Mitarbeiterin des Kurdischen Roten Halbmondes in Rojava, im Nordosten Syriens. Das Embargo, die Spannungen mit dem Assad-Regime, der wiedererstarkende IS und die Nicht-Anerkennung des Kurdischen Roten Halbmondes als Mitglied der internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung erschweren die Arbeit zusätzlich. In diesem Spannungsfeld sind die Mitarbeitenden des Roten Halbmondes im Einsatz. Sie garantieren die medizinische Grundversorgung mit mobilen Kliniken und bewältigen die notwendigen Transporte in die Krankenhäuser der Umgebung. In den Flüchtlingslagern und Notunterkünften ermöglicht die lokale Wasserbehörde mit Unterstützung des Kurdischen Roten Halbmondes sauberes Trinkwasser für die intern Vertriebenen und die Bevölkerung.

Ein Covid-Spital für Rojava

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie koordiniert der Kurdische Rote Halbmond die Informations- und Präventionsarbeit zu Covid-19 in Flüchtlingscamps, Schulen und in der breiten Öffentlichkeit zusammen mit den Gesundheitsstrukturen der Selbstverwaltung. Mit Unterstützung von medico international schweiz und der Tessiner Stiftung FAI konnte die erste Covid-Klinik in der Nähe der kurdischarabischen Stadt Hassakeh und dem dortigen Flüchtlingscamp Washokani eingerichtet werden. Als im Frühling 2021 eine grosse Corona-Welle Rojava überrollte, füllte sich das Krankenhaus und sämtliche Betten waren besetzt. Viele kurdische Menschen in Rojava sind gezeichnet durch jahrzentelange Unterdrückung und Entwürdigung und kennen keine oder lediglich prekäre medizinische Einrichtungen. Sie haben das Vertrauen in den syrischen Staat komplett verloren. Mit Öffentlichkeitsarbeit und vielen Grussbotschaften der Genesenen gelang es dem Roten Halbmond mitten in der Pandemie das Vertrauen in das neue Covid-Spital zu gewinnen.

Trotzdem: zu Beginn der Pandemie starben viele Erkrankte, weil sie erst im letzten Moment ins Krankenhaus gebracht wurden. Für die oft sehr jungen Pflegekräfte war die Belastung schwer aushaltbar. Nicht zuletzt weil jedes Leben retten – ob bei Angriffen der Türkei und der dschihadistischen Milizen oder im Covid-Spital – für die medizinischen Teams in Rojava ein Akt des Widerstands ist. Auch die Care Takers standen unter hoher Belastung im Einsatz. Sie übernehmen sowohl die Spitalreinigung als auch die Grundpflege der Patient*innen. Dank psychosozialer Begleitung konnte der Rote Halbmond in dieser schwierigen Zeit nicht nur das gesamte Personal unterstützen, sondern förderte auch die Kommunikation mit den Angehörigen der Covid-19 Patient*innen. Maja Hess unterstützte den Roten Halbmond im Winter 2020/2021 in dieser Arbeit.

Frauengesundheit neu verstehen

Im Frauengesundheitszentrum Sifajin bauen die Hebamme und die Gesundheitspromotorinnen mit Unterstützung von Ärztinnen eine medizinische Basisversorgung auf, die Schulmedizin und alternative, traditionelle Behandlungsmethoden fruchtbar zusammenbringt. Im Zentrum wurde ein kleines Labor zur Herstellung von Pflanzenmedizin eingerichtet. Verschiedene phytotherapeutische Heilmittel werden bereits angewendet. Die Frauen von Sifajin wollen eine Frauengesundheit schaffen, die nicht von patriarchalen Denkmustern dominiert ist, was sich auch in der Beziehung zwischen den Gesundheitsarbeiterinnen und den Patientinnen widerspiegelt. Das Gesundheitszentrum ist Teil des Frauendorfes Jinwar und ist offen für Frauen und Kinder aus den umliegenden Dörfern.

Eine Insel der Freiheit für Kinder

Im kurdischen Kindergarten in Amed/Diyarbakir in der Südtürkei ist Kurdisch die selbstbewusste Unterrichtssprache und Ausdruck des kulturellen Protests gegen die Unterdrückung des türkischen Staates. Jahrzehntelang war die kurdische Sprache in der Türkei verboten. Den kurdischen Kindergarten besuchen viele Kinder, deren Familien 2015 aus dem historischen Stadtteil Sur in Amed vertrieben wurden. Die umfassende, auch psychologische Betreuung und Förderung im Kindergarten sind eine Chance für mehr Autonomie und Respekt für die Kinder, die das traumatische Erbe der Unterdrückung und Vertreibung in sich tragen. Die Mitarbeitenden des Kindergartens arbeiten wie alle kurdischen Aktivist*innen und sozialpolitisch Engagierten mit grosser Vorsicht. Gerade ist die Türkei dabei, die HDP, die progressive und prokurdische Partei der Völker zu verbieten. Zahlreiche HDP-Abgeordnete, kurdische Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen sitzen als politische Gefangene in türkischen Gefängnissen, wo sie Misshandlung und Folter ausgesetzt sind. Diese bedrohliche Botschaft seitens der türkischen Regierung verstehen alle, die sich für eine gleichberechtigte und freie Gesellschaft einsetzen. Deswegen ist allein die Existenz des kurdischen Kindergartens ein Akt des mutigen Widerstandes und der Menschlichkeit.