Die Arbeit des Gaza Community Mental Health Programme (GCMHP) musste im Jahr 2020 grösstenteils virtuell oder über das Telefon stattfinden. Doch die Mitarbeitenden fanden alternative Wege, um insbesondere Frauen* zu unterstützen, die sich aufgrund der Pandemie mit zusätzlichen Herausforderungen und Belastungen konfrontiert sahen.

Susanne Gfeller

Die von vielen Seiten befürchtete Explosion der Covid-19-Ansteckungszahlen in Gaza blieb im Frühling 2020 zunächst aus. Gründe dafür sind einerseits die generelle Abschottung Gazas durch die israelische Besatzung. Andererseits ergriffen die lokalen Behörden zu Beginn der Pandemie auch drastische Quarantänemassnahmen. Potentiell Infizierte wurden konsequent in improvisierte Quarantänezentren geschickt. In der zweiten Jahreshälfte setzten die Behörden zur Eindämmung der Infektionszahlen auf strenge Massnahmen zur Einschränkung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens und auf Selbstverantwortung. Aufgrund fehlender Testkapazitäten und Behandlungsmöglichkeiten bleibt die Zahl der tatsächlich Infizierten und Erkrankten in Gaza bis heute jedoch höchst ungewiss.

Telefonische Notfall-Hotline

Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich die Anrufe von Frauen* im GCMHP gehäuft. Aus den Quarantänezentren berichten sie über die unzulänglichen Hygienestandards und die mangelnde medizinischen Versorgung für Schwangere, die sie als grosse mentale Belastung erleben. Zudem sind die Frauen* oft von Schuldgefühlen geplagt, weil sie ihre Familie «alleine» lassen mussten. Die massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens und vor allem die Schliessung der Schulen erschweren ihren Alltag auch zu Hause. Zur Betreuung der Kinder kommen die Sorgen um ihre Zukunft. Aufgrund fehlender technischer Infrastruktur und der ständigen Elektrizitätsunterbrüche können sie dem Fernunterricht mehr schlecht als recht folgen. Viele Frauen* klagen auch über zunehmende Konflikte innerhalb der Familie aufgrund des veränderten Familienalltages. Da das GCMHP in Corona-Zeiten nur sehr eingeschränkt Personen vor Ort empfangen kann, wurden die Leitungen der Notfall-Hotline stark ausgebaut und die Öffnungszeiten ausgedehnt.

«Häufig brauchen die Frauen* vor allem ein offenes Ohr und die Möglichkeit, die Schwere ihrer Situation zu benennen», so Rawia Hamam, Direktorin der Abteilung für Training und Forschung am GCMHP. «Das Wichtigste ist, dass die Überforderung nicht pathologisiert wird und wir aufzeigen können, dass die Probleme eine logische Folge einer kaum stemmbaren Belastung sind.» An den telefonischen Beratungsgesprächen werden den Frauen* mögliche Lösungswege aufgezeigt: «Im Gespräch erarbeiten wir gemeinsam, wie sie den Ehemann und die Kinder in die Alltagsbewältigung einbeziehen, Arbeiten delegieren, Ruhepausen einlegen und zwischendurch Atemübungen machen können.»

Psychodrama: Virtuelle Supervision

Unter normalen Umständen bietet das GCMHP auch Psychodrama-Sitzungen an, wo Frauen* weitere Bewältigungs- und Ausarbeitungsstrategien lernen. 2020 konnten sie nur vereinzelt oder gar nicht stattfinden. Die ausgebildeten Psychodramatiker*innen waren deshalb gefordert die psychodramatischen Methoden übersetzt in die Arbeit einfliessen zu lassen. Dabei wurden sie von medico international schweiz virtuell unterstützt. Auch Ursula Hauser und Maja Hess, die seit vielen Jahren die Aus- und Weiterbildung von Psychodramatiker*innen am GCMHP leiten, konnten 2020 nicht nach Palästina reisen und führten die Supervisionen online durch.

Trotz aller Widrigkeiten der Covid-Pandemie 2020, sieht Rawia Hamam einen positiven Aspekt in der Krise: «Menschen rund um den Globus haben am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, in ihrer Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt zu sein – ein Zustand, der in Gaza alltäglich ist.» Welche Handlungen aus dieser Erkenntnis erwachsen, bleibt abzuwarten.

medico-Partner*innen zeigen Flexibilität und Professionalität

Sämtliche Partnerorganisationen in Palästina und Israel waren 2020 gezwungen, ihre Programme drastisch anzupassen. Als die mobilen Kliniken der Physicians for Human Rights Israel (PHRI) aufgrund der steigenden Infektionszahlen behördlich verboten wurden, wandelten die Mitarbeiter*innen der PHRI sie flink in Apotheken auf Rädern um, um so dringend nötige Medikamente und Schutzzubehör in der West Bank zu verteilen. Die Palestinian Medical Relief Society (PMRS) in der West Bank und in Gaza organisierte breite Sensibilisierungskampagnen zu Covid-19 und Trainings für ihr medizinisches Fachpersonal.