«Israel ist kein sicherer Ort für Gefüchtete, ausser sie sind jüdisch.» Diese kürzlich vom Israelischen Migrationsminister geäusserten Worte bestätigen sich auch im Gesundheitsbereich: Sowie den Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten wird auch Asylsuchenden in Israel die medizinische Versorgung verwehrt. Dagegen kämpft die medico-Partnerorganisation Physicians for Human Rights Israel (PHRI).

Ricarda Rotach

Eine Patientin in der Offenen Klinik von PHRI

Für nicht-jüdische Menschen sind die Chancen, vom Israelischen Staat Asyl zu erhalten, verschwindend klein. Weniger als ein Prozent der Asylgesuche werden angenommen. Antragsteller*innen sind vor allem Menschen aus Eritrea und dem Sudan und neu 15’000 nicht-jüdische Geflüchtete aus der Ukraine. Diese befinden sich momentan im Besitz eines dreimonatigen Tourist*innenvisums und erhalten somit Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Welchen Status sie nach Ablauf des Visums erhalten ist unsicher. Für die Menschen aus Eritrea und dem Sudan ist die Situation klar: In den letzten 20 Jahren wurde insgesamt nur 20 Personen Asyl gewährt. Seit 2008 werden abgewiesene Asylsuchende zwar nicht mehr ausgeschafft, der israelische Staat unterlässt jedoch jegliche Unterstützung für sie. «Dies hat verheerende Folgen für ihre Gesundheit,» betont Zoe Gutzeit, Bereichsleiterin ‹Offene Klinik› bei PHRI, «nur israelische Staatsangehörige oder Bewohner*innen mit permanenter Aufenthaltsgenehmigung haben Anrecht auf staatliche Krankenvorsorge. Alle anderen können ausschliesslich über die Arbeit bei einer Krankenkasse angemeldet werden. Dazu sind die Arbeitsgeber*innen aber nicht verpflichtet.» Migrant*innen, die in Israel leben und arbeiten, sind somit abhängig von ihren Arbeitgeber*innen. Eine Care-Arbeiterin aus Indien kann beispielsweise für eine verantwortungsbewusste Familie arbeiten und somit krankenversichert sein. Bei einem abgewiesenen Asylsuchenden aus Eritrea, der illegal arbeiten muss, stehen die Chancen dazu schon sehr viel schlechter.

Offene Klinik in Tel Aviv

 «Erschwerend kommt hinzu, dass mit der Arbeitsstelle verbundene Krankenversicherungen bereits existierende Vorerkrankungen ausschliessen,» erklärt Zoe, «reist zum Beispiel jemand mit diagnostizierter Diabetes nach Israel, übernimmt die Krankenkasse die Kosten für die Diabetesbehandlung nicht. Die Kosten für die Behandlung eines neu in Israel diagnostizierten Brustkrebses hingegen werden übernommen.» Diese Regel habe besonders während der Corona-Pandemie zu medizinischen Engpässen geführt. «Da viele Arbeitsmigrant*innen und Geflüchtete ihre Stellen während der Pandemie verloren, verloren sie auch die Krankenversicherung. Wenn sie nach dem Lockdown wieder Arbeit fanden, wurden erneut alle Vorerkrankungen von den Versicherungsleistungen ausgeschlossen – auch die Behandlung des in Israel diagnostizierten Brustkrebes.»

In der von medico international schweiz unterstützten offenen Klinik in Jaffa, im Süden Tel Avivs, bietet PHRI Migrant*innen und Geflüchteten kostenlose medizinische Versorgung. «Wir sind ihre einzige Anlaufstelle. Es ist belastend zu sehen, dass die Krankheitsverläufe vieler unserer Patient*innen durch eine kontinuierliche medizinische Behandlung hätten verhindert werden können», erläutert Zoe. Ins Krankenhaus gingen die Menschen oft erst dann, wenn ihre Krankheit lebensbedrohlich ist. Dann nämlich seien auch die Ärzt*innen in staatlichen Kliniken dazu verpflichtet, sie zu behandeln. Für die medizinische Nachbehandlung bleibt den Patient*innen wiederum nur die offene Klinik von PHRI. Zoe betont, dass für PHRI neben der direkten medizinischen Hilfe für Migrant*innen auch politische Kämpfe wichtig sind: «Wir stehen im direkten Kontakt mit medizinischen Fachpersonen und versuchen ihr Bewusstsein für die Situation von Menschen ohne Krankenversicherung zu schärfen – so zum Beispiel, sie dazu zu bringen, möglichst viele Fälle als ‹Notfall› zu behandeln.»

Gesundheitsversorgung in Palästina

Die PHRI setzt sich für das Recht aller Menschen auf Gesundheit ein. Neben der offenen Klinik in Jaffa betreibt die israelische Gesundheits- und Menschenrechtsorganisation auch mobile Kliniken, die in der Westbank und Gaza Palästinenser*innen Basisgesundheitsdienste anbieten. PHRI macht auf die politische Bedeutung aufmerksam, die das Verwehren medizinischer Versorgung hat. «Der israelische Staat benutzt die Gesundheitsversorgung als politische Waffe gegen Palästinenser*innen wie gegen Asylsuchende und Migrant*innen,» betont Zoe.

Zwischen diesen zwei Gruppen gibt es auch Überschneidungen. Den wenigen Palästinenser*innen, die beim israelischen Staat Asyl beantragen – beispielsweise wegen queerfeindlicher Verfolgung, oder weil sie der Kollaboration mit dem Israelischen Staat beschuldigt werden – wird das Recht auf Asyl verwehrt. Laut dem israelischen Staat können sie keine ‹Flüchtlinge› sein, da sie von der UNWRA1 unterstützt werden – ein absurdes Argument. Zudem sind die meisten Palästinenser*innen Geflüchtete bzw. Vertriebene im eigenen Land. Teilweise leben sie in Gaza und der Westbank seit Generationen in sogenannten ‹Flüchtlingslagern›. «Die Israelische Besatzung und das Apartheidregime haben viele Gesichter», sagt Zoe, «es ist nicht nur das Militärregime oder die Blockade von Gaza, es geht auch darum, das Leben der Palästinenser*innen unerträglich zu machen, indem ihnen unter anderem die medizinische Versorgung verwehrt wird und sie gleichzeitig abhängig gemacht werden von schwer zugänglichen Israelischen Diensten.» Offiziell dürften Palästinenser*innen aus der West Bank oder Gaza in Notfällen zur Behandlung in Israelische Krankenhäuser. In der Realität aber müsse die Palästinensische Autonomiebehörde für diese Kosten aufkommen und der Israelische Staat profitiere davon. «Viele Menschen in den besetzten Gebieten bekommen die benötigte medizinische Behandlung nicht und sterben,» beklagt Zoe, «bei den Palästinenser*innen ist die Verwehrung medizinischer Versorgung am explizitesten. Für Asylsuchende benutzt der Israelische Staat jedoch die genau gleichen Mechanismen. Dagegen müssen wir aufstehen!»

1 Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten