Der Irak und Syrien sind gemäss UNO-Klimarat die von der Erderhitzung am meisten gefährdeten Länder. Die Klimakatastrophe trifft hier auf eine vom Krieg zerrüttete Region. In Rojava und im Shengal kämpft der Kurdische Rote Halbmond an der Seite der lokalen Verwaltung um die Wasserversorgung der Bevölkerung - es bleibt auch ein politischer Kampf.

Maja Hess

Rojava, die Kornkammer im Norden Syriens, konnte sich über Jahrhunderte auf die winterlichen Regenfälle verlassen. Sie bewässerten die ausgetrocknete Erde und bereiteten sie für die Aussaat vor. Im Frühjahr spross zartes Grün auf den braunen Ebenen und verwandelte ganz Rojava in einen fruchtbaren Garten, der Mensch und Tier mit genügend Nahrung versorgte. In den letzten Wintern fiel kaum mehr Regen. Wenn es regnete, dann in kurzer Zeit so heftig, dass es zu verheerenden Überschwemmungen kam. Die Durchschnittstemperatur im Sommer ist in den letzten zehn Jahren von 33 auf 44 Grad gestiegen. Gleichzeitig werden die Winter kälter. Dieses Jahr fiel sogar Schnee. Die extremen Temperaturen und die Wasserknappheit setzen insbesondere den geflüchteten und vertriebenen Menschen in der Region schwer zu. 

Wasser als Waffe

Mehr Hitze, weniger Regen – doch es gibt noch einen Grund für den Wassernotstand in Kurdistan: das Erdogan-Regime. Insgesamt 22 Dämme stauen die zwei Ströme Mesopotamiens, Euphrat und Tigris, in der Türkei. Seit hunderten Jahren dienen die beiden Flüsse den Bauern im Irak und Nordsyrien zur Bewässerung ihrer Felder und den Menschen als Trinkwasserreservoir. Der Ilisu-Staudamm liegt nur 40km von der irakischen Grenze entfernt im kurdischen Gebiet der Südtürkei. Seit der Stausee gefüllt ist, hat sich die im Irak ankommende Wassermenge im Tigris drastisch verringert. Die Türkei drosselt den Abfluss des Wassers nach ihrem Gutdünken und hält somit die Bevölkerung und die Regierungen des Nordiraks und Rojavas in politischer und wirtschaftlicher Geiselhaft. Auch die lokalen Ökosysteme sind durch die partielle Austrocknung der Flüsse akut bedroht.

Besonders unter Druck steht der Bezirk Hassakeh im nordostsyrischen Rojava mit den Flüchtlingslagern Washokani und Al Hol. Die ca. 460'000 Bewohner*innen der Region, werden über die Wasserpumpstation Alouk versorgt, die in der türkischen Besatzungs-zone liegt. Immer wieder blockiert die türkische Regierung die Station und setzt die Verknappung des Trinkwassers als Kriegswaffe gegen die Zivilbevölkerung von Hassakeh ein. Damit verstösst das türkische Regime gegen humanitäres Völkerrecht, das Wasserinfrastruktur grundsätzlich schützt und verbietet, Trinkwasserversorgungsanlagen und -vorräte zum Aushungern der Zivilbevölkerung anzugreifen, zu zerstören oder unbrauchbar zu machen.

Bedrohte Gesundheit

Der mangelnde Zugang zu sauberem Wasser führt dazu, dass Menschen sich aus Verzweiflung mit kontaminiertem Wasser versorgen. Letztes Jahr führte dies zu einem Cholera-Ausbruch in Nordsyrien – eine gesundheitliche Katastrophe, die im Moment unter Kontrolle ist. Das Fehlen von sauberem Wasser führt zu einem Anstieg von Durchfallerkrankungen. Insbesondere bei Kleinkindern verläuft akuter Durchfall in Kombination mit einer prekären Gesundheitsversorgung häufig tödlich.

Mit Wasserlieferungen aus Tankwagen setzt die Selbstverwaltung in Rojava und die medico-Partnerorganisation Kurdischer Roten Halbmond alles daran, die Trinkwasserversorgung der lokalen Bevölkerung und der Bewohner*innen der Flüchtlingscamps zu sichern. Doch es bleibt eine enorme Herausforderung. Die langen Transportwege des Wassers nach Hassakeh verursachen hohe Kosten. Zur Wasserknappheit komme das Problem der sachgerechten Entsorgung der Abwässer, insbesondere in den Lagern, erklärt Amal Rmdan vom Roten Halbmond. Die Selbstverwaltung habe nicht genügend finanzielle und personelle Ressourcen: «Es ist eine Abwärtsspirale: Klimawandel, Krieg, Vertreibung und Armut bedrohen die Gesundheit und das Leben der Menschen hier.» 

Die Spirale durchbrechen

Doch Aufgeben ist keine Option. «In Kooperation mit der lokalen Verwaltung verteilen wir Trinkwasser, bauen Wasserlabors auf zur Analyse und Sicherung der Wasserqualität. Geplant sind auch Projekte zur Abwasserentsorgung,» so Amal. medico unterstützt auf Anfrage des Kurdischen Roten Halbmondes die Trinkwasserkomponente des Bereichs Wasser, Sanität und Hygiene (WASH). Mit der Lieferung von Geräten zur Chlorsalzproduktion und der Ausbildung von Fachpersonen für die Wasserqualitätskontrolle soll die lokale Unabhängigkeit gefördert werden. Politisch zukunftsweisend ist die Initiative, das Projekt als Zusammenarbeit zwischen dem nordsyrischen Rojava und dem benachbarten, im Nordirak liegenden Shengal umzusetzen, und so die Selbstverwaltungen beider Regionen zu stärken. Die medico-Partnerorganisation Kurdischer Roter Halbmond und internationale Expert*innen stellen die nötige fachliche Unterstützung. 

Solche Projekte sind überlebenswichtig – aber es braucht mehr! Unsere Solidarität ist gefragt, wenn die Türkei einmal mehr Rojava und somit die Idee einer autonomen, kurdischen Selbstverwaltung und der Frauenbefreiung angreift. Unsere politische Intervention ist gefragt, wenn die Türkei erneut gegen die Genfer Konventionen verstösst und den Menschen in Hassakeh buchstäblich den Hahn zudreht. Und schliesslich müssen wir uns für globale Klimagerechtigkeit stark machen: Die Menschen in Ländern wie Syrien oder Irak tragen die Last und die Folgen der grösstenteils im Globalen Norden verantworteten Klimaerwärmung. Wir haben im Gegensatz zur kurdischen Selbstverwaltung die finanziellen, menschlichen und politischen Ressourcen, diese Entwicklung mit Blick auf den Globalen Süden zu stoppen. Fordern wir die Schweizer Entscheidungsträger*innen auf, unsere Verantwortung für die Klimakatastrophe zu übernehmen – und zwar jetzt!