Lange war die Casa de la Mujer in Nueva Guinea primär ein Geburtshaus. Seit 2007 sind in Nicaragua Geburten nur noch im Spital erlaubt. Für das Frauenhaus und die Hebammen brachte dies viele Veränderungen – doch der Einsatz für die Rechte und die Gesundheit der Frauen bleibt.

Elvira Ghioldi & Alice Froidevaux

Schwangere Frauen in der Casa de la Mujer in Nueva Guinea bei der Gymnastik

In den 1980er bis 2000er Jahren übernahmen Frauenkollektive und Hebammenvereinigungen eine zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung. «Während der sandinistischen Revolution war die Regierung mit dem Kampf gegen konterrevolutionäre Kräfte beschäftigt und das Personal des Gesundheitsministeriums (MINSA) reiste nicht in ländliche Gebiete, da sie Angriffe fürchteten. Ab 1990 wurde das Gesundheitssystem von der neoliberalen Regierung privatisiert. Der Staat blieb auf dem Land abwesend und die lokalen Hebammen somit sehr wichtig. Durch ihre jahrelange praktische Erfahrung hatten sie oft mehr Wissen in der Schwangerschafts- und Geburtenbetreuung als medizinische Fachkräfte. Von der Casa de la Mujer wurden sie im Bereich der Hygiene weitergebildet und erhielten Arbeitsmaterial,» erzählt Manuela1, Mitgründerin des von medico international schweiz unterstützten Frauenhauses in Nueva Guinea. Mit dem Wechsel zur aktuellen sandinistischen Regierung 2006 wandelte sich auch das Gesundheitswesen erneut – mit einschneidenden Folgen für die Casa de la Mujer und die Hebammen.

Institutionalisierung der Geburt

«Die Regierung Ortegas sagte damals der Muttersterblichkeit den Kampf an. Mit dem Plan Parto wurden die Geburtsvorbereitung und die Geburt institutionalisiert,» schildert Manuela. Schwangere Frauen müssen bereits zwei bis vier Wochen vor dem Geburtstermin in ein Mütternhaus umziehen. Für die Geburt werden sie dann ins Krankenhaus überwiesen. Den Hebammen ist es gesetzlich untersagt, auf dem Land Geburtshilfe zu leisten und auch Frauen mit unkomplizierten Schwangerschaften dürfen nicht mehr in der Casa de la Mujer gebären. «Gleichzeitig wurden die öffentlichen Gesundheitsposten in ländlichen Gebieten ausgebaut und das MINSA ist verpflichtet, Schwangere in Notfällen auch in abgelegenen Gebieten abzuholen – und tut dies auch,» so Manuela.

Der Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem hat sich also verbessert. Gleichzeitig ist die Institutionalisierung der Geburt kostenintensiv und mit ihr gehen wertvolles Wissen, traditionelle Praktiken und die Wertschätzung der werdenden Mütter verloren. «Der lange Aufenthalt, auch für gesunde schwangere Frauen, verursacht für Herbergen wie die Casa de la Mujer hohe Kosten, die der Staat nur zu einem geringen Teil übernimmt. Die Frauen sind oft mehrere Stunden von Zuhause entfernt und somit von Ehemann und weiteren Kindern getrennt,» erklärt Manuela. In der Casa de la Mujer wird diese Zeit für die werdenden Mütter so sinnvoll wie möglich gestaltet. Sie erhalten Information über die Geburt, die Neugeborenenpflege und Familienplanung. Es werden Entspannungsübungen durchgeführt. Handarbeitskurse und die gemeinsame Hausarbeit machen das Warten auf die Geburt kurzweiliger. Zwei erfahrene Laienhebammen übernehmen die Nachtwache, für die täglichen Kontrollen kommen Fachkräfte des Spitals Nueva Guinea. «Dass die Untersuchungen anstatt von den Hebammen nun oft vonmännlichen Ärzten durchgeführt werden, ist für Frauen vom Land schwierig zu akzeptieren, » betont Manuela.

Von Hebammen zu Promotor*innen

Die Bezeichnung partera (Geburtshelferin) ist geblieben. Heute sind sie aber mehrheitlich als Gesundheitspromotor*innen und Berater*innen in der Familienplanung tätig. «Vor allem die jüngere Generation hat gar nicht mehr gelernt, Geburten zu begleiten. Sie sind nicht mehr durch traditionelle Überlieferungsprozesse in ihre Rolle hineingewachsen und somit weniger stark mit ihrer Aufgabe verbunden. Früher war ‹Hebamme sein› eine Berufung, heute gibt es mehr Fluktuation,» führt Manuela aus. Dies hat auch gesellschaftliche Folgen: «Als Geburtshelferinnen hatten die Frauen einen hohen Status in ihren Gemeinden. Mit dem Entzug ihrer Kernkompetenz verlieren sie ein Stück ihrer Anerkennung.» Aber: Wie wertvoll der Erfahrungsschatz der alten parteras noch immer ist, zeigt sich gemäss Manuela in Notfällen: «Dann ruft das Personal des Gesundheitsposten die Hebamme im Ort – und alle wissen, welche Hebamme das Wissen noch hat!»

Botschafter*innen des Wandels

Über die Jahre bewies die Casa de la Mujer Standhaftigkeit und Flexibilität. Die Weiterbildungskurse widmen sich heute vermehrt allgemeinen Gesundheitsthemen. Wichtig ist dem Team, dass die Kurse basisorientiert bleiben: «Lange Vorträge bringen den Teilnehmenden nichts. Sie müssen in der Praxis lernen, wie sie Symptome erkennen und was diese bedeuten,» so Manuela. Einen Fokus legt das Frauenhaus auf Aufklärung, denn eines der grössten Probleme in Nicaragua bleibt die hohe Zahl ungewollter Jugendschwangerschaften. «Patriarchale und sexistische Denk- und Handlungsmuster halten sich in ländlichen und stark religiös geprägten Gebieten hartnäckig,» sagt Manuela.

Die ehrenamtlichen ‹Hebammen› tragen das Gelernte in ihre Gemeinden zurück und werden so zu ‹Botschafterinnen des Wandels›. Dabei ist Feingefühl geboten: «Insbesondere auf dem Lande ist es unmöglich explizit über Frauenrechte – geschweige denn feministische Ansichten – zu diskutieren. Es ist aber möglich, über Rollenbilder zu sprechen, über Familienplanung und die Wichtigkeit einer sicheren und würdigen Geburt,» so Manuela. Auch Workshops an Schulen gehören zu den Aktivitäten des Frauenhauses. Die Jugendlichen sind empfänglich für Gespräche über Rollenbilder oder Respekt in Liebesbeziehungen. Manuela ist überzeugt: «Sie sind der Schlüssel für einen gesellschaftlichen Wandel!»



1 Name von der Redaktion geändert.