Auch unter einer extrem angespannten wirtschaftlichen und sozialen Lage denken die medico-Partner*innen in Kuba gar nicht daran, aufzugeben. Sie kämpfen, sind ausdauernd und erfinderisch. Im Schutz der Schwächsten sind sie auf internationale Solidarität angewiesen.

Alice Froidevaux

Trump und Corona haben Kuba schwer zugesetzt. Die Verschärfung der US-Sanktionen und der ausbleibende Tourismus haben eine Wirtschaftskrise ausgelöst, welche an die «Sonderperiode in Friedenszeiten» nach dem Zerfall der Sowjetunion erinnert. Auch die Reaktion der Regierung gleicht derjenigen von 1993: Neuordnung des Währungssystems, ‹Dollarisierung› und Devisenabschöpfung. Im Januar 2021 wurde die Parallelwährung Peso Convertible (CUC) abgeschafft, womit der Peso Nacional als einzige Währung verbleibt. Der US-Dollar kursiert dieses Mal de facto nur virtuell Über die Konten und hier und da unter der Hand.

Magela Quintero Pérez und Annia Arbolaez vom AfroAtenas Team

Die Währungsumstellung hat für den Grossteil der kubanischen Bevölkerung negative Folgen: Die Ungewissheit, wie sie genau umgesetzt wird, führt zusammen mit der allgemeinen Versorgungsknappheit zu einer starken Teuerung. Lange Schlangen vor Geschäften sind zur Norm geworden, der Unmut und die Gewaltbereitschaft wachsen. «Die Situation wird von Tag zu Tag komplizierter, die Leute haben Hunger.» berichtet Yoelkis Torres, Koordinator von AfroAtenAs. Ob sich die Versorgungslage bald wieder verbessert, hängt massgeblich davon ab, ob die neue US-Regierung die Blockade lockern wird.

Positiv wird indes Über die Entwicklung von Corona-Impfstoffen in Kuba berichtet. Schon bis Ende 2021 möchte der Inselstaat seine gesamte Bevölkerung impfen und ganz im Zeichen seiner Tradition der medizinischen Solidarität auch Impfstoff an weitere bedürftige Länder spenden.

Solidarität mit den Schwächsten

Die Wirtschaftskrise und die vermehrten gewalttätigen Übergriffe treffen Menschen mit Beeinträchtigungen, ältere Menschen, Trans*menschen und Betroffene von häuslicher Gewalt in besonderem Masse. «Wir müssenen zum Beispiel feststellen, dass Gehörlose seit der Pandemie vermehrt Gewalt erleben. Die Schutzmasken erschweren ihre Kommunikation enorm. Es kommt häufig zu Missverständnissen und schliesslich zu  Übergriffen. Ohne Masken werden sie gebüsst, geschlagen oder aus den Schlangen vor den Geschäften vertrieben,» beklagt Yoelkis. Genau hier setzt die Arbeit von AfroAtenAs an: «Wir wollen verletzliche Bevölkerungsgruppen schützen und unterstützen, denn wir sind alle gleichwertige Teile unserer Gesellschaft.» Gemäss dieser Philosophie sind es nicht studierte Projektmanager, welche die Programme von AfroAtenAs umsetzen, sondern Personen aus der Gemeinde: «Bei uns zählen nicht die Schulnoten oder der akademische Titel, sondern der Wille, mitzuwirken.»

Frauen* im Einsatz für die Gemeinde

Auch Magela Quintero Pérez und Annia Arbolaez sind Teil von AfroAtenAs. «Ich bin nun 41 Jahre alt und habe als Afrokubanerin und alleinerziehende Mutter lange kaum Unterstützung aus der Gesellschaft erfahren,» erzählt Magela. Erst bei AfroAtenAs hat sie die Begleitung gefunden, die sie sich immer gewünscht hatte: «Diese Hilfe gebe ich heute anderen zurück. Das gibt mir ein Gefühl der Zufriedenheit. Durch mein Engagement bei AfroAtenAs und besonders im Austausch mit der Transcommunity habe ich viel dazu-gelernt. Heute verstehe ich besser, was Gemeinschaft wirklich bedeutet!» 

Annia Arbolaez ist 24-jährig und hat im Kontext der Corona-Krise mit der Gemeindearbeit begonnen: «Es hat mir das Herz zerrissen, in welch tristen Verhältnissen ältere Menschen und beeinträchtigte Personen leben müssen und dass es ihnen am Nötigsten fehlt - Lebensmittel, Wasser, Strom. Für die staatlichen Institutionen scheinen diese Menschen unsichtbar. AfroAtenAs gibt ihnen neue Hoffnung.» Die solidarische Hilfe ist für Annia eine klare Botschaft und die einzige Antwort auf die steigende Gewalt. Sie ist aber auch eine immer grössere Herausforderung: «In diesen angespannten Zeiten steigen auch die Diskriminierung und die Bedrohungen für mich als schwarze junge Frau*, die sich für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse einsetzt. Und ich mache mir Sorgen, dass die neuen wirtschaftlichen Hürden die internationale Unterstützung schwächen – ohne sie können wir unsere Projekte nicht umsetzen und ich wäre wohl wieder arbeitslos.»

Psychologische und emotionale Unterstützung

Auch die von medico unterstützte Psychodrama-Gruppe hat ihre Arbeit während der Pandemie erfolgreich weitergeführt. «Wir haben ein Netz von Whatsapp-Gruppen aufgebaut und konnten so zum Beispiel Jugendliche mit Suchtproblemen weiter begleiten,» erklärt Matilde Molina. Solche Online-Angebote sind in Kuba, wo der Zugang zu mobilem Internet erst seit 2018 geöffnet wurde, absolut neu. Daneben werden auch weiterhin traditionelle Kommunikationskanäle bedient. Im Programm «Eine Nachricht für dich!» welches im kubanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, wandten sich Psycholog*innen der Gruppe #PsicologíaConCuba an die Bevölkerung: «Als Mutter und Grossmutter, habe ich mich spezifisch an schwangere Frauen gerichtet. In einer solchen Krisenzeit kann es zur besonderen Belastung werden, ein neues Leben in sich zu tragen. Mit meinen Worten ein Stück emotionale Unterstützung und Hoffnung geben zu können, war für mich sehr erfüllend,» freut sich Matilde.