Während die Welt auf Gaza blickt, spitzt sich auch die Situation in der Westbank dramatisch zu. medico-Partnerin Physicians for Human Rights Israel reagiert auf die wachsende Gewalt mit gezielter Unterstützung für Notfallteams.
Alice Froidevaux
Rettungskräfte in Aqraba in der Nähe von Nablus werden von PHRI mit Schutzwesten und Helmen ausgestattet.
Seit dem 7.Oktober 2023 wurden in der Westbank mindestens 999 Palästinenser*innen von israelischen Streitkräften oder Siedlern getötet. Gleichzeitig hat die israelische Regierung ihre Kontrolle über das Gebiet weiter ausgeweitet. Gewaltsame Vertreibungen nehmen rasant zu: Ganze Gemeinschaften wurden ausgelöscht, fast 40’000 Menschen mussten ihre Häuser in den Flüchtlingslagern von Dschenin und Tulkarem verlassen. Die Gewalt durch Siedler eskaliert –
zwischen Januar und August 2025 wurden 2518 Angriffe dokumentiert, fast doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2024.
Für die Bewohner*innen der Westbank wird der Alltag immer unerträglicher: neue Checkpoints, Strassensperren und Blockaden schränken ihre Bewegungsfreiheit massiv ein. Hinzu kommt eine tiefe Wirtschaftskrise, ausgelöst durch das Einreiseverbot für mehr als 100’000 palästinensische Arbeiter*innen, die zuvor täglich nach Israel pendelten. Viele Familien können weder Krankenkassenbeiträge noch medizinische Kosten bezahlen – die Folge ist eine sich verschärfende Gesundheitskrise.
In dieser Situation wird die Rolle von Notfallteams – Rettungssanitäter*innen und Ambulanzfahrer*innen – noch entscheidender. Sie versorgen Verletzte nach Angriffen durch Siedler oder Militär sowie Kranke, die keine andere Unterstützung finden. Doch auch die Rettungskräfte arbeiten unter ständiger Gefahr: Sie werden angegriffen, aufgehalten und daran gehindert, Patient*innen zu erreichen. Trotz ihres Schutzstatus nach internationalem humanitärem Recht sind sie regelmässig Gewalt und Einschüchterung ausgesetzt. Laut Weltgesundheitsorganisation wurden in der Westbank zwischen dem 1.Januar und dem 15.September 2025 203 Angriffe auf das Gesundheitswesen registriert – mit elf Toten und 49 Verletzten.
«Die meisten Notfallteams verfügen weder über Schutzkleidung noch über psychologische Unterstützung und sind extremen Belastungen und traumatischen Erlebnissen ausgesetzt», sagt Lee Caspi von der medico-Partnerorganisation Physicians for Human Rights Israel (PHRI). «Mit unserer neuesten Initiative wollen wir die Notfallteams in der Westbank stärken und ihre lebensrettende Arbeit unter schwierigen Bedingungen sichern.» Aufbauend auf fast 40 Jahren Erfahrung arbeitet die PHRI eng mit palästinensischen Gesundheitsdiensten zusammen. Bereits konnten fünf Rettungsteams mit Schutzhelmen und Westen ausgestattet werden und Workshops zur psychischen Resilienz absolvieren. Aufgrund zahlreicher weiterer Anfragen soll diese Unterstützung nun ausgeweitet werden. Zudem plant PHRI, die Erfahrungen der Notfallteams in einem öffentlichen Bericht und einer begleitenden Kampagne sichtbar zu machen.
Die bewährten mobilen Kliniken von PHRI sind weiterhin mit zwei Einsätzen pro Woche in der Westbank unterwegs – darunter reine Frauenkliniken und Spezialkliniken etwa für Menschen mit chronischen Nierenerkrankungen, die seit einem Jahr begleitet werden. Allein im Oktober 2025 erhielten rund 2800 Patient*innen dort medizinische Hilfe.