Lange Zeit konnte Vietnam die Covid-Ansteckungen tief halten, dann kamen Delta und Omikron. Einige Projekte zur Stärkung älterer Menschen in der Gemeinschaft, die medico unterstützt, mussten pausieren. Doch das erfolgreiche nationale Impfprogramm gibt neue Hoffnung.

Anjuska Weil & Caroline Truong

Vor einem Jahr kämpfte Vietnam nicht primär mit Covid, sondern mit den Auswirkungen der heftigen Taifune im Herbst 2020. Dank der Schliessung der Landesgrenzen, einem aufwändigen Contact Tracing und grossangelegter Informationskampagnen gelang es, die Covid-19 Fall- und Todeszahlen sehr tief zu halten. Das änderte sich ab Frühling 2021 mit der Ausbreitung der Delta-Variante dramatisch. Insbesondere im Grossraum Ho Chi Minh-Stadt, mit 13 Mio. Einwohner*innen, stiegen die Fallzahlen ab Juli steil an. Während Vietnam im Mai 2021 total nur 41 Covid-Tote zählte, wurden bis Februar 2022 über 40'000 Todesfälle registriert. Dass Delta das Land so stark traf, erklärt sich mit der sehr tiefen Impfquote beim Auftreten der neuen Virusvariante und der rasanten Verbreitung in den grossen Industrieparks nördlich von Ho Chi Minh, wo hunderttausende Menschen auf engem Raum zusammenleben und -arbeiten. Von dort aus gelangte es in die Spitäler und breitete sich schnell im ganzen Land aus. Die Regierung sah sich gezwungen, einen harten Lockdown anzuordnen. Im August wurde in Ho Chi Minh-Stadt medizinisches Personal aus drei Krankenhäusern des Landes zusammengezogen, um Notfallstationen auf insgesamt 1’500 Betten aufzubauen. Über 7’000 Freiwillige waren bereit, zu helfen.

Reis vom Automaten

Im Lockdown verloren auch in Vietnam viele Menschen ihr Einkommen. Kaum jemand hat für mehr als zwei Monate Reserven. Für jene, die sich mit kleinen Dienstleistungen im informellen Sektor über Wasser halten, wie auch für die Hunderttausenden, die ihre Arbeitsstelle in den Fabriken oder im Gastgewerbe verloren, wurde die wirtschaftliche Situation schnell prekär. In dieser Situation entstanden spontan Suppenküchen und Nachbarschaftshilfen, wie die Reisautomaten, an denen Menschen in Not kostenlos zwei Kilo Reis beziehen können. Nachgefüllt werden die Automaten von privaten Spender*innen, dennoch waren sie kaum je leer. In Quartieren mit strikten Ausgangsperren übernahmen Soldaten die Verteilung von Lebensmitteln.

Impfen, impfen, impfen

Vietnam gehört zu den Ländern, die hintenanstehen mussten, während wohlhabende Länder Impfstoff geradezu horteten. Als die reichen Staaten begannen, vorsorglich dritte und vierte Impfdosen zu verabreichen, musste sich Vietnam wie viele Länder des Globalen Südens mit den geringen Beständen der COVAX-Initiative der WHO oder Spenden von übriggebliebenen Impfstoffen von Drittstaaten abfinden. Mit einer breitangelegten Strategie und einer effizienten Impfkampagne, die auch Hausimpfungen einschloss, gelang es Vietnam nach dem Schock aber, den Impfrückstand aufzuholen. Im Juni 2021 lancierte die Regierung einen nationalen Covid-Impffonds und rief im In- und Ausland zur Solidarität auf. Diplomatische Vertretungen mobilisierten die vietnamesische Diaspora, ihr Heimatland bei der Corona-Bekämpfung zu unterstützen. Die grosszügigen Beiträge von Privatpersonen und solidarischen Organisationen erlaubten die rasche Beschaffung von erhältlichen Impfstoffen: Sinopharm aus China, Sputnik V aus Russland und Astra-Zeneca aus dem COVAX-Programm. Mit Kuba wurde zudem eine Austauschvereinbarung Reis gegen Impfstoff getroffen. Heute sind ca. 80% der vietnamesischen Bevölkerung zweimal geimpft. Booster-Impfungen sind im Gange. Im Februar 2022 wurde Vietnam von der WHO als eines von fünf Ländern für einen Technologietransfer für mRNA-Impfstoffe und somit als zukünftiger Impfstoffhersteller ausgewählt. Ein wichtiger Schritt, um die weltweiten Impfbemühungen voranzutreiben. Gleichzeitig blockieren reiche Staaten bis heute den Antrag an die WTO, den Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe auszusetzen.

Solidarische Helfer*innen und Vereine

Die medico-Partner*innen des Center of Aging Support and Community Development (CASCD) unterstützen die Bevölkerung in der Gründung lokaler Vereine zur Unterstützung alter Menschen. Um die Verbreitung des Virus in der nördlichen Region Ha Giang einzuschränken, wurden seit Frühling 2021 Reisen in die Region limitiert und das lokale Volkskomitee entschied, grössere Menschenansammlungen zu verbieten. Die kulturellen und gesundheitsfördernden Aktivitäten von CASCD mussten pausieren und die Gründung der geplanten fünf neuen Selbsthilfevereine wurde auf April 2022 vertagt. «In der Provinz Thua Tien-Hué hatten wir mit der Weiterentwicklung unseres Projekts mehr Glück,» berichtet der Koordinator der Vereinigung Alter Menschen in Hué, Nguyễn Đăng Thạnh. «Da das Virus sich hier erst später und nicht so stark ausgebreitet hat, konnten wir die neuen Vereine in den Gemeinden Phu Mau und Huong Vinh einrichten und die Programme starten. Sie zählen bereits je 120 Mitglieder.» Die Info-Veranstaltungen zur Gesundheit älterer Menschen konnten im Juli unter Einhaltung der Schutzmassnahmen durchgeführt werden und wurden mit einem Block zur Covid-Prävention ergänzt. Auch die Ausbildung von 30 freiwilligen Gesundheitspromotor*innen und die Workshops für Agent Orange-Betroffene und ihre Betreuer*innen in der Stadt Hué konnten im 1. Quartal 2021 stattfinden. Die Kurse sind so gefragt, dass medico entschieden hat, mit der JaPa 2022/2023 deren Ausbau zu finanzieren.