Die Articulación Afrofeminista Cubana kämpft gegen Rassismus, Patriarchat und Diskriminierung – und zeigt: Erinnerung, Vernetzung und das Anerkennen der eigenen Identität sind Schlüssel für den gesellschaftlichen Wandel. Ein Interview mit der Mitgründerin Yulexis Almeida Junco.

Angelika Stutz

Rednerinnen an der 2. Aktionswoche der Afrofeminist*innen in Kuba. Rechts: Yulexis Almeida.

Yulexis, was ist das afrofeministische Netzwerk in Kuba und wie ist es entstanden?

Die Articulación Afrofeminista Cubana (AAfroC) entstand 2022 zum Internationalen Tag der afro-lateinamerikanischen, afro-karibischen Frauen, sowie  Frauen aus der Diaspora. Das Netzwerk vereint Projekte aus Aktivismus, Gemeindearbeit, Kleinunternehmerinnentum, Wissenschaft, Kunst und Kultur, die sich gegen Rassismus und Patriarchat einsetzen. Einzelpersonen und Organisationen mit teils langer Geschichte im Widerstand bündeln hier ihre Kräfte, um gemeinsam stärkere Ergebnisse zu erreichen. Wir sind überzeugt: Gesellschaftlicher Wandel braucht kollektive Anstrengung – deshalb schaffen wir Räume für Dialog, gegenseitige Unterstützung und Schwesternschaft. Vielfalt und Autonomie sind dabei wichtige Leitlinien. Zentrale Aktion ist die jährliche afrofeministische Aktionswoche. Daneben sind wir aber auch das ganze Jahr über mit rund 50 kleineren und grösseren Gemeinschaftsprojekten in Havanna und fünf weiteren Provinzen aktiv. Und das Netzwerk wächst stetig weiter.

Weshalb ist ein afrofeministisches Netzwerk in Kuba wichtig?

Offiziell stellen Afrokubaner*innen rund zehn Prozent der Bevölkerung, gemeinsam mit Mestizen etwa ein Drittel. Andere Schätzungen gehen von 60 bis 70 Prozent mit afrikanischen Wurzeln aus. Zwar prägt die afrokubanische Kultur das nationale Selbstverständnis wesentlich mit. Dennoch wirken bis heute kolonial geerbte, rassistische Vorurteile und Stereotype fort. Koloniale Ausbeutung hat dazu geführt, dass bis heute ein grosser Teil der schwarzen und mestizischen Bevölkerung in benachteiligten Vierteln unter prekären Bedingungen lebt, während weisse Familien häufiger zu den einkommensstärkeren Schichten zählen. Echte Chancengleichheit gibt es auch in Kuba nicht – im Gegenteil, der Kreislauf aus Armut und Diskriminierung verstärkt rassistische Stereotype. Besonders betroffen sind schwarze Frauen: Viele sind alleinerziehend. Sie sind Haushaltsvorstand, jedoch ohne gesellschaftliche Anerkennung oder Einfluss. Zudem gibt es eine hohe Rate an Teenagerschwangerschaften. Ihr Zugang zu Bildung, Arbeit und Einkommen sind stark eingeschränkt, nicht zuletzt durch eine hohe Belastung durch Care-Arbeit und fehlende Unterstützung. Hinzu kommen Schönheitsnormen, die unser Afro-Haar oder unser Aussehen abwerten, sowie rassifizierte sexistische Stereotype. Deshalb ist für uns eine intersektionale Perspektive zentral: Nur wenn wir das Zusammenwirken von Klasse, Geschlecht, Alter und Hautfarbe im Kontext von historischem und fortwirkendem Kolonialismus verstehen, können wir die Dynamiken der Herrschaftsmatrix erkennen, verändern und afrodeszendente Frauen in Situationen sozialer Ungerechtigkeit stärken.

Ihr wollt die Gesellschaft verändern ‒ welche Visionen verfolgt ihr dabei?

Wir verfolgen eine Gleichstellungsagenda und setzen uns für soziale Gerechtigkeit ein. Zentral ist für uns, unsere Existenz sowie den historischen und gesellschaftlichen Beitrag afrodeszendenter Frauen sichtbar zu machen und dies aus unserer Perspektive – in unseren eigenen Narrativen, mit unserer Kultur, Musik, Erinnerung und Sprache. Wie in ganz Lateinamerika mit seiner Geschichte von Kolonialismus und Sklaverei geht es hier um eine Form reparativer Gerechtigkeit. Es geht darum, unsere Köpfe und Denkweisen zu dekolonisieren und die wahren Werte unserer Identitäten anzuerkennen. Damit wir diese Anerkennung von der Gesellschaft einfordern können, müssen wir zuerst selbst unsere Identität verstehen und unseren Stolz als afrodeszendente Frauen stärken.

Welche konkrete Aktionen tragen dazu bei?

Unsere afrofeministischen Aktionswochen mit Workshops, Vorträgen und kulturellen Veranstaltungen haben entscheidend zur Sichtbarkeit in der ganzen Gesellschaft und zu einem neuen Selbstbewusstsein innerhalb unserer Community beigetragen. Jahr für Jahr ziehen sie mehr Menschen an, erhalten viel Medienecho und erfahren internationale Aufmerksamkeit durch die Teilnahme von Kolleg*innen aus Mexiko, Venezuela, Haiti, Kolumbien und Brasilien.  Der entscheidende Erfolg besteht jedoch darin, dass wir das Netzwerk in die Gemeinden tragen und gleichzeitig bestehende Gemeindeprojekte über das Netzwerk bekannter machen konnten. Ein zentraler Pfeiler unserer Arbeit ist Bildung – etwa durch die Escuela Comunitaria Afrofeminista. Die Gemeinschaftsschule bietet antirassistische Bildung für unterschiedliche Zielgruppen. Jedes Quartal arbeiten wir mit einer spezifischen Gruppe: Im April mit Leaderinnen der Gemeinden, im Juli mit Studentinnen der Universität Havanna. Für das zweite Halbjahr sind Kurse mit kirchlichen Vertreterinnen und Frauen aus marginalisierten Stadtvierteln geplant. Gemeinsam wollen wir die verschiedenen Formen von Rassismus in Verbindung mit Sexismus erkennen und ihre Auswirkungen auf die kubanische Gesellschaft sichtbar machen. Wir zeigen konkrete Herausforderungen auf, etwa im Bereich rassistische Diskriminierung im Gesundheitssystem. Und wir weisen auf bestehende politische Instrumente hin, die wir nutzen können, sowie auf Möglichkeiten, eigene Projekte zu initiieren und umzusetzen. Jede Person kann zum antirassistischen und antipatriarchalen Kampf beitragen – ob Wissenschaftlerin, Poetin, Lehrperson oder Mutter. «Hinterlasse deine Spuren auf deinem Weg. Frau zu sein ist ein Extremsport, Latina zu sein ist ein Extremsport, Afro zu sein ist ein Extremsport – lasst uns spielen und die Medaille gewinnen», heisst es im motivierenden Lied, dass unsere Aktionstage begleitet. Die Aktivitäten der Articulación Afrofeminista Cubana haben es geschafft, den kollektiven und aktivistischen Charakter der feministischen Bewegung in Kuba wieder stärker in den Vordergrund zu rücken – und darauf sind wir stolz.