In Guatemala leisten Gemeinden und Kooperativen Tag für Tag Widerstand. Er ist nicht immer laut, doch seine Kraft liegt in der Beharrlichkeit, Geduld und den vielen kleinen Gesten des Kollektivs. Gemeinsam entsteht daraus eine Stärke, die auch mächtige Gegner erschüttern kann.
Edith Bitschnau
«Wir wollen unseren See retten - Gemeinsam für unseren schönen See». Frauen der indigenen Tz’utujil setzen sich für den Schutz des Atitlán-Sees ein.
Guatemala gehört nach wie vor wenigen Familien. Für diese kleine Elite dient der Staat als Instrument, um ihren Besitz und Reichtum zu vergrössern und es ist nicht abzusehen, dass ihre Gier jemals zu befriedigen wäre. Die Justiz ihrerseits schützt und fördert die dafür notwendige Unterdrückung und Ausbeutung der Bevölkerung. Die Guatemaltek*innen nennen dieses System: El Pacto de corruptos (Der Pakt der Korrupten).
Die ländlichen Regionen mit überwiegend indigener Bevölkerung werden vom Staat weitgehend ignoriert: Häufig fehlt es an grundlegender Infrastruktur sowie an öffentlichen Diensten wie Schulen und Gesundheitseinrichtungen. Die Menschen reparieren ihre Strassen mit ihren eigenen Schaufeln und blossen Händen, um diese passierbar zu machen. Sie sind auf die Heilkünste von lokalen, traditionellen Hebammen und Naturheilmediziner*innen angewiesen und unterstützen sich gegenseitig bei Naturkatastrophen. Ein sehr altes und bewährtes Modell in Guatemala sind die basisdemokratisch organisierten Kooperativen. Viele von ihnen sind durch die Organisierung während des internen Konfliktes neu entstanden oder wiederbelebt worden. In den Kooperativen wird das Zusammenleben nach selbstbestimmten Gesetzen und Regeln organisiert. Diese kollektive Lebensweise mindert die Armut, sie ist nachhaltig und weniger korruptionsanfällig, weil die Bewohner*innen ihre Ressourcen selbst verwalten. In zahlreichen ländlichen Departementen bestehen zudem traditionelle Strukturen der indigenen Bevölkerung fort: Die Comunidades (Gemeinden) wählen und anerkennen ihre Autoritäten selbst. Immer wieder jedoch wird versucht, diese historisch gewachsenen Systeme der Ahnenkultur zu zerstören und Kooperativen sowie aktive Gemeinden zu spalten – nicht zuletzt, weil solche Gemeinschaften auch im Widerstand und bei Protestaktionen äusserst wirksam sind.
Im August 2025 zeigte die Gemeinde Santiago Atitlán am Atitlán-See eindrücklich, was kollektiver Widerstand bedeutet. Monatelang forderten die Einwohner*innen eine private Firma und die Behörden auf, hunderte Metallkäfige mit artfremden Tilapia-Fischen zu entfernen, die ohne Zustimmung der Gemeinde eingesetzt und zur Gefahr für das ökologische Gleichgewicht wurden. Doch nichts geschah. Nach mehreren Versammlungen mit bis zu 15000 Teilnehmenden beschlossen die traditionellen Autoritäten, selbst zu handeln: 235 Käfige mit 3,5 Tonnen Tilapia wurden gemeinsam aus dem See geholt und an die Bewohner*innen verteilt. Die Aktion verlangte grosse Organisation. Händler*innen und Marktverkäufer*innen unterbrachen ihre Arbeit in der Departements-Stadt Sololá und in den Gemeinden, um beim Wiegen und Sortieren der Fische zu helfen, Frauen und Lehrer*innen übernahmen die Verteilung, Metallarbeiter bauten die Käfige ab, die von den Tauchern der Gemeinde geborgen wurden, Bootsbesitzer unterstützten auf dem See und kleine Transportunternehmen beim Abtransport des Schrotts und Mülls. Besonders bemerkenswert dabei war, wie trotz limitiertem Internetzugang, Orten, die zum Teil nicht einmal Strom haben, weiter Wege ohne öffentliche Verkehrsmittel und unterschiedlichen indigenen Sprachen eine funktionierende Kommunikation gelang.
Oft werden Bergbau, Staudämme, Palmölplantagen oder eben eine artfremde Fischzucht als «Entwicklung» verkauft. Doch die Gemeinden und Kooperativen zeigen: Echte Entwicklung – das heisst ein lebenswertes Umfeld – entsteht aus der kollektiven Arbeit und Organisationskraft der Menschen vor Ort. «Unser Widerstand ist wie Ameisenarbeit, nur im Kollektiv möglich. Er ist Handarbeit. Mit Maschinen lässt er sich nicht erzwingen – er wächst nur durch den unermüdlichen Einsatz vieler Hände», sagt uns eine indigene Frau aus einer Kooperative im Ixcán.
Die Comunidades stehen dabei mächtigen Gegnern gegenüber: multinationalen Konzernen, die im Namen der «Entwicklung» mit Megaprojekten Umwelt und Lebensgrundlagen zerstören, gestützt von einem korrupten Staat. Ihr Widerstand hält seit Jahrzehnten an und bringt für die Beteiligten enorme Gefahren und Belastungen mit sich. Auch wenn das Massentöten des Bürgerkriegs vorbei ist, werden Aktivist*innen weiterhin inhaftiert oder ermordet, Richter*innen und Menschenrechtsanwält*innen ins Exil gezwungen – ebenso Journalist*innen, die zu hartnäckig über das korrupte System berichten.
Als ob die ständigen Angriffe auf das Gemeinwohl nicht schon genug wären, geht der Kampf der Gemeinden für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer des bewaffneten Konflikts auch nach 30 Jahren weiter. Angehörige fordern weiter die Bestrafung der Verantwortlichen des Genozids an den Ixiles und die Aufklärung von Tausenden Verschwundenen. Die Mehrheit der Mitglieder des medico-Projektpartners Asociación Guatemalteca de Personas con Discapacidad «Manuel Tot» (AGPD) lebt in solchen Gemeinden. Viele sind selbst vom Krieg versehrt, sind auf dauerhafte medizinische Versorgung angewiesen und suchen noch nach Angehörigen. Menschen mit Behinderungen kämpfen zudem gegen strukturelle Diskriminierung: Barrierefreiheit ist in Guatemala äusserst selten, rund zehn Prozent der Bevölkerung bleibt dadurch auch das Wahlrecht verwehrt. AGPD setzt sich daher für ein Gesetz ein, das allen Menschen in Guatemala die Teilnahme an Wahlen und damit die Möglichkeit zur Mitbestimmung ermöglicht.