Der 25.November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Ein Gespräch mit Teodora Vásquez von den Mujeres Libres über Mut und Solidarität im Kampf gegen geschlechterspezifische und strukturelle Gewalt in El Salvador.
Angelika Stutz
Die Mitgründerin der Mujeres Libres, Teodora Vásquez, während eines Radio-Interviews.
Frauenrechte und feministische Errungenschaften geraten weltweit unter Druck. Wie zeigt sich das in El Salvador?
Unter der Regierung von Nayib Bukele und unter starkem Einfluss der Kirche werden hart erkämpfte Frauenrechte immer weiter eingeschränkt. Begriffe wie Diversität oder Feminismus sind aus den öffentlichen Schulen verbannt, ebenso Sexualaufklärung. Seit Anfang 2022 werden Grundrechte unter dem Ausnahmezustand massiv eingeschränkt, der Raum für zivilgesellschaftliches Engagement schrumpft – besonders für feministische Organisationen. Wir leben in ständiger Angst vor Verhaftung, wenn wir uns für Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit einsetzen.
Ihr von den Mujeres Libres habt selbst Gewalt erfahren. Mit welchen Formen seid ihr besonders konfrontiert?
Machistische und patriarchale Gewalt sind tief in der salvadorianischen Gesellschaft verankert – besonders betroffen sind Frauen in armen, ländlichen Regionen. Ich selbst bin dort aufgewachsen, wo sexualisierte Gewalt und Jugendschwangerschaften weit verbreitet sind. Die meisten Frauen schweigen aus Scham oder Angst, und staatliche Schutzmechanismen gibt es kaum. Hinzu kommt eines der strengsten Abtreibungsverbote der Welt: Selbst nach Fehlgeburten oder bei Lebensgefahr für die Mutter drohen Haftstrafen von bis zu 30 Jahren. Auch ich wurde nach einem geburtshilflichen Notfall wegen Mordes verurteilt. Als die Wehen plötzlich einsetzten, rief ich den Notruf, doch niemand kam. Im Krankenhaus erwachte ich mit Handschellen. Mein Baby war tot und ich wurde festgenommen. Meine Familie erfuhr erst aus den Medien davon. Später verurteilte mich ein Gericht zu 30 Jahren Gefängnis. In Haft erlebten wir Gewalt in vielen Formen – physisch, psychisch und auch sexualisiert. Die Zustände in salvadorianischen Gefängnissen sind miserabel. Seit dem Ausnahmezustand sind auch Besuche durch Angehörige oder Psycholog*innen verboten. Familien wissen oft nicht, wie es ihren Liebsten geht. Besonders Frauen aus armen Verhältnissen können sich keine angemessene Verteidigung leisten. Nach der Entlassung stehen viele vor dem Nichts, stigmatisiert, ausgegrenzt und ohne Unterstützung. Diese Perspektivlosigkeit nährt neue Gewaltkreisläufe.
Wie verarbeitet ihr diese Gewalterfahrungen?
Die Rückkehr in die Gesellschaft ist schwer. Unsere Strafen wurden nur reduziert, nicht aufgehoben. Mit einem Eintrag im Strafregister ist es fast unmöglich, Arbeit zu finden und wieder Fuss zu fassen. Deshalb gründeten wir Mujeres Libres, um Frauen nach der Haft zu begleiten – mit psychologischer, medizinischer und rechtlicher Unterstützung sowie Bildungs- und Zufluchtsangeboten. Besonders wichtig ist uns wirtschaftliche Selbstbestimmung und Autonomie. Eines unserer Angebote ist die «educación comunitaria», auch durch künstlerische Ausdrucksformen. Unsere Theatergruppe bringt unsere Erfahrungen auf die Bühne – das stärkt unser Selbstvertrauen, und viele Zuschauerinnen erkennen sich in unseren Geschichten wieder. Wir bieten psychosoziale Gruppentherapien an, in denen wir unsere Traumata verarbeiten und endlich auch um unsere verlorenen Kinder trauern können. Ich bin stolz auf jede Einzelne von uns. Wir zeigen, dass Solidarität und gegenseitige Unterstützung neue Wege eröffnen – dass wir wachsen, uns stärken und unser Leben Schritt für Schritt zurückerobern können.
Ihr arbeitet auch mit anderen Frauenkollektiven im In- und Ausland zusammen. Warum ist diese Vernetzung wichtig – und was bedeutet sie dir persönlich?
Ich bin in einer kleinen Gemeinde ohne politische Bildung aufgewachsen. Erst durch das, was mir passiert ist, habe ich verstanden, wie wichtig es ist, für die Rechte von Frauen einzutreten. Heute sehe ich es als meine Aufgabe, andere aufzuklären und zu ermutigen. Mit unserer Theatergruppe besuchen wir Gemeinden und sprechen mit jungen Frauen über Sexualität, Selbstbestimmung und Familienplanung. Ich durfte vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission über die Situation kriminalisierter Frauen sprechen und am UN-Menschenrechtsbericht für El Salvador mitwirken. Dieses Jahr nahm ich an Konferenzen in Madrid, Kolumbien und Guatemala teil – dort hatte ich bewegende Begegnungen mit anderen Menschenrechtsverteidigerinnen. Im Netzwerk «Fundiendo Rejas» (Gefängnisgitter schmelzen) arbeiten wir mit Partnerinnen in Mexiko und Kolumbien für die Rechte inhaftierter Frauen und ihre gesellschaftliche
Wiedereingliederung. Im kommenden Frühling werden wir mit Unterstützung von medico unser Theaterstück in Gefängnissen, Universitäten und Ministerien dieser Länder zeigen. Es bedeutet mir viel, unsere Geschichte weiterzutragen – als Zeichen von Hoffnung, Mut und Zusammenhalt.
Wie werdet ihr den 25.November begehen?
In San Salvador gibt es an diesem Tag Demonstrationen und Aktionen gegen Gewalt an Frauen. Doch die Teilnahme ist riskant – viele Aktivistinnen werden kriminalisiert und erleben Repression. Für uns, die bereits vorbestraft sind, ist das besonders gefährlich. Deshalb wählen wir andere Wege, um sichtbar zu bleiben. Wie werden auch dieses Jahr am 25.November unser Theaterstück aufführen – in einer Gemeinde, die noch nie zuvor eine Veranstaltung zu Frauenrechten erlebt hat. Zudem machen wir Social-Media-Kampagnen, in denen wir aufzeigen, wie Gewaltkreisläufe durchbrochen werden können. Unsere Botschaft ist klar: Jede Frau hat Rechte und verdient Schutz vor
Gewalt – und jede Frau verdient eine zweite Chance. Wir sind der lebende Beweis dafür!